Sie begleiten Gezeitenstrom Musikmagazin fast zwei Jahre lang und sind mittlerweile gute Freunde geworden – Daniel und Sebastian Selke von CEEYS. Mit ihrem Musikprojekt sind die Beiden ein fester Garant für neoklassische Musik, vorgestellt und näher beleuchtet in unserem Porträt. Internationale Anerkennung erlangte CEEYS mit dem Musik & Fotografie-Projekt, den Anfang machte Concrete Fields aus dem Jahr 2017. Dabei sind die Selke-Brüder Individualisten in dem Musikgenre, denn sie leisten in dieser Form wahre Pionierarbeit, nicht nur mit dem Q3Ambientfest. CEEYS arbeiten in der Musik ihre Jugend in der ehemaligen DDR auf. Warum das so wichtig ist, erzählt unter anderem das neues Album WÆNDE.
W(ä)ende der DDR
Eine typische Plattenbausiedlung in der ehemaligen DDR.
Hinter dem leicht philosophischen Wortspiel stecken reale Bezüge. WÆNDE - die Farbe Grau rings um einen, doch Familie, Freundschaft & Gemeinsamkeiten machten das Grau auf eine eigene Art erträglicher und farbenfroher. Das Wort „Wände“ symbolisiert die Betonplatte, die riesigen Betonbauten wie beispielsweise den Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf, wo die Brüder aufwuchsen. Zwischen Monotonie und Analogie, in dem die DDR Industriestandard über Ästhetik hielt, um schnell günstigen Wohnraum zu schaffen. Wände steht auch für die Wohnung der Familie Selke, ein Heim, mit dem man sich gerne arrangierte, gemütlich einrichtete und kleine Träume sich erfüllte. Erinnerungen, die prägten. Dagegen agiert das Wort „Wende“ für den Umsturz, das Ende einer Diktatur und den Aufbruch in eine neue Ära.
Leser, die nicht den direkten Bezug besitzen, wie das Leben in der DDR war und dieses nur aus Presse, Funk & Dokus kennen, mag die Aufarbeitung von CEEYS sicher nicht direkt ansprechen. Menschen, die aufgewachsen sind in der sozialistischen Republik, sind dankbar für all die Interpretationen, auch auf dem neuen Werk WÆNDE. Als junger Mensch war das Leben in der DDR oft vorgezeichnet. Die Eingliederung in die Gemeinschaft, in das Pionier- oder FDJ-Kollektiv, lernten die meisten Jugendlichen schon in der ersten Schulklasse. Doch der Staat tat vieles, durchaus Positives für die Jugend, mit einem ideologischen Ziel. Gern geschätzt waren Ferienlager mit Nachtwanderungen, Discos und die erste kleine Romanze. Aber auch Kunst und Sport waren beliebt bei der Nachwuchsförderung.
Kultur und Bildungswesen in der DDR wurden im Sinne der Staatsdoktrin intensiv gefördert und stark reglementiert. Doch abends unter der Bettdecke schob man den Regler am Radio auf die Frequenz von Jugendradio DT64, um die angesagtesten Hits aus dem Westen zu hören. Diese Musik aus den Achtzigern damals hat gleichzeitig West- und Osteuropa beeinflusst. Vielleicht auch die Selke Brüder, die damals schon fleißig ihre klassischen Instrumente erlernten, in den vier Wänden der Neubauwohnung in Berlin, die ziemlich dünn waren. Dies führte wahrscheinlich zu einigen Reibungen mit den Nachbarn.
Doch der Öffnung der Grenze Ungarns im Sommer 1989 folgte eine nie da gewesene Massenflucht nach Österreich und auch die westdeutsche Botschaft wie in Prag, wurden von den Menschen besetzt. Das Datum der Grenzöffnung zu Westberlin bzw. der BRD, und somit das Ende der Deutschen Demokratischen Republik, am 09. November 1989 ging in die Geschichte ein. Ein ganzes Volk zwischen Hoffnung, Euphorie und Ratlosigkeit, wie es denn jetzt weitergeht. Diese Ereignisse und die Folgen prägten eine ganze Generation. WÆNDE ist ebenso eine musikalische Aufarbeitung der Gebrüder Selke mit historischem Anklang.
Eigenständigkeit in der Neoklassik
WÆNDE, das neue Album von CEEYS.
War das letzte Werk Concrete Fields in Sachen neoklassischer Anspruch eine Koryphäe, so gehen Ceeys mit WÆNDE noch einen Schritt weiter. Dabei schlagen sie neue Wege ein, ohne alte Brücken abzureißen. Ausgeprägt sind die elektronischen Einflüsse, die WÆNDE einen expressionistischen Anstrich verleihen. Einstudiert und verarbeitet auf restaurierten Keyboardinstrumenten und Rhythmusboxen, von denen viele ursprünglich zwischen den 1950er und 1980er Jahren in den landeseigenen oder ehemaligen sowjetischen Firmen hergestellt wurden. Verwebt mit tragenden Charakteristiken von Klavier und Cello, dem Markenzeichen von CEEYS.
Durch das Zusammenspiel der klassischen Instrumente entsteht eine eigene, gefühlsbetonte Welt voller Nostalgie und Anmut. Zierlich und fragil lassen Ceeys Erinnerungen aus der Jugend wieder aufleben, tiefe Bogenzüge auf dem Cello erzeugen ein wollig warmes Gefühl wie auf „Winter Sleep“, bei dem man förmlich die Schneeflocken auf der Nase tanzen fühlen kann. Dass beide Brüder sich blind verstehen und ein exorbitantes Musikverständnis besitzen, erfährt man in Stücken wie dem treibenden Klavierstück „Neighbour II“ oder dem gleichnamigen Titeltrack. Mit den elektronischen Klanglandschaften der Neoklassik schaffen Ceeys es durchaus vertraute Gefühle wieder an das Tageslicht zu holen.
Ein sehr gutes Beispiel ist das Lied „Fall“, durch das der Spätherbst und somit der Mauerfall symbolisiert wird. Mit präzisen, kurzen Tastenanschlägen am Klavier und aufgeregtem Cellospiel wird ein einschneidendes, historisches Ereignis in einen Rahmen gesetzt. „Greys“ ist ein Improvisationsstück, bei dem ein unverwechselbarer Tremolo mit einem analogen Multi-Effekt von einer Vermona String Machine die vormals herrschenden Grautönen zu bunten Farbklängen umformt und somit eine nostalgische Schwingung einbringt. Jeder der 12 Stücke auf WÆNDE gestaltet das Album zu einer gedanklichen Reise in die Vergangenheit.
Ein Stück Kindheit im Herzen
Sebastian (Cello) und Daniel (Klavier) Selke.
Exakt das ist auch die große Stärke von WÆNDE und CEEYS, die mit Concrete Fields das Thema Jugend rund um das Ende der DDR auf den Punkt bringen. Inspiration beziehen die Brüder aus eigener Lebenserfahrung, die nicht jeder Künstler in diesem Themenfeld vorweisen kann.
In Zeiten, in denen Youtube-Stars fragwürdige Dinge tun, um Aufmerksamkeit zu bekommen, besinnen sich bodenständige Musiker auf das, was sie geformt und geprägt hat. In diesem Fall die behütete Kindheit in einem Staat, von dem man als Jugendlicher zwar politisch geformt werden sollte, doch aber auch seine ganz eigene Individualität auslotete. Wohin das führen kann, sieht man an Daniel und Sebastian Selke, zwei hoch-ambitionierten Musikern, die sich ein Stück Kindheit im Herzen mit der Musik manifestiert haben und somit tausenden Liebhabern der modernen Klassik aus der Seele sprechen.
Veröffentlicht wird WÆNDE am 18.Mai 2018 über das Label Neue Meister. Am gleichen Tag geben CEEYS ein Release-Konzert mit Hania Rani im Berliner Funkhaus. Über einen Besuch würden sich die beiden Brüder sicher freuen, denn auch Live sind Ceeys eine Performance. Ein Erlebnis, an dem man sich lange zurückerinnert. Leser, die neben der Musik sich für das Jugendleben in der DDR interessieren, sei beispielsweise die beiden Filme „Sonnenallee“ oder „Good Bye, Lenin!“ an das Herz gelegt.