Licht senden in die Tiefen des menschlichen Herzens
Nils Frahm, Pionier und Vordenker der modernen Klassik. Zitat: "The only thing I try to watch carefully is that I never lose the love for the instrument. That's also why I decided against a professional piano career when I was younger."
Klassische Musik in der Moderne erlebt eine Renaissance seit einigen Jahren. Ungebrochen ist die Aufmerksamkeit am Genre, vor allem zeitgenössische Komponisten haben einen großen Anteil daran, dass klassische, moderne Musik und Teile der Neoklassik sehr gefragt sind.
Clem Leek, Nils Frahm, Lubomyr Melnyk oder Ólafur Arnalds, um nur einen kleinen Teil zu nennen, stehen sinnbildlich für das Genre der modernen Klassik. Mit Erfolgen und breiter Fanbasis, die sich deutlich abheben im Alternativen Bereich. Tatsächlich spielt in vielen Teilen auf diesem Globus die moderne Klassik eine übergeordnete Rolle in der Musikbranche. Klassische Musik ist einfach, aber in ihrer Einfachheit ebenso komplex. Sie lebt von Details und Kleinigkeiten, die sich beim Hörer aber nicht beim ersten Mal immer erschließen. Trotzdem fasziniert sie Millionen.
Doch warum ist das so? Was fasziniert in Zeiten von Pop-Ikonen und Charthitlisten Menschen, lieber auf moderne Klassik einzugehen und diese mit ungebrochener Attraktivität zu begegnen? Ein Erklärungsansatz:
Kontrapunkt der Vorromantik
Um das Gesamtbild zu verstehen, muss man die Anfänge der modernen Klassik beleuchten: Die moderne Klassik gründet sich auf das Schaffen der großen Komponisten der ursprünglichen Klassik in der Musik und der Romantik. Als Ausgangspunkt sind die berühmten Kompositionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu betrachten. Eine weitere Grundlage für die moderne Klassik bildet die traditionelle Symphonik. Viele Komponisten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkten, bezogen sich mit ihren Werken direkt auf die klassische Musik. Andere versuchten, sich deutlich davon abzuheben.
So schufen sie etwas völlig Außergewöhnliches zu dieser Zeit: den Impressionismus. Die impressionistischen Stücke bezogen sich in ihrem Ausdruck nicht mehr direkt auf eine bestimmte Handlung oder inhaltliche Aussage, sondern waren reine Klangkompositionen.
Eine weitere Kühnheit der Begründer der Moderne, die später Neue klassische Musik genannt wurde, war, die Tonalität, die für die klassische Musik typisch war, neu zu erfinden. Die Gebundenheit der Töne, Klanglage und Akkorde an eine Tonart wurde aufgehoben, was eine Aufgabe der Harmonie zur Folge hatte. Mithilfe der so entstehenden Atonalität wurden in manchen ansonsten harmonischen Musikstücken besondere Effekte gesetzt.
Obwohl die Anhänger der Zwölftontechnik glaubten, dass zukünftig alle Komponisten ohne Verwendung der herkömmlichen Tonstufen Dur und Moll arbeiten würden, schufen viele namhafte Künstler neue Werke, die sich in ihrer Struktur auf die klassische Musik bezogen. Auch diese Musiker, die sich unter anderem mit dem Kontrapunkt der Vorromantik auseinander setzten, konnten aus den verschiedensten Materialien durch intelligente Symbiose Neues erschaffen.
Mit Herz, Seele und Gefühl
Auch das klassische Instrumente nie ihre Popularität aufgegeben haben, spricht für das Genre und die anhaltende Nachfrage nach neuen Stücken. Klavier, Violine und Cello sind oft das Aushängeschild der modernen Klassik, sei es Solo oder im Verbund. Aber auch die Akustgitarre oder Flöten finden immer mehr ihren Weg in die moderene Klassik. Einige Künstler verwenden auch zeitgemäße Stilmittel in ihren Klangstrukturen, welche aus elektronischen Nuancen bestehen oder bedienen sich aus der Minimalistik. Das mag zwar etwas unkonventionell sein, am Grundkonzept ändert sich jedoch wenig.
Ebenso das Verweben mit Naturgeräuschen ist ein anhaltender Trend. Der Klang von Regen, das Rauschen des Meeres oder flüstern des Windes gibt der Musik eine ganz spezielle Atmosphäre und löst in unserem Inneren viele Kaskaden an Empfindungen aus. Vor allem gefühlsbetont, zerbrechlich und emotional sind die Werke und behandelt Themen und Konzepte, wie etwa von Dunkelheit oder Licht, Liebe und Verlust, Heimat und Sehnsucht, die akustische Verarbeitung der vier Jahreszeiten, um nur einige Beispiel zu nennen.
Moderne Klassik zielt sehr oft auf die Gefühle des Hörers ab ohne mit diesen zu spielen. Farben voller Romantik und Melancholie sind recht oft anzutreffen, allerdings nicht immer zwingend primär ausgelegt. Ein Künstler wird immer seine Stimmungslage in seinen Werken ausdrücken, Musiker eben mit ihren Instrumenten oder den Liedern.
Die Musik als engster Vertrauter
Viele Menschen sehen in der Musik einen Freund, jemand der einen versteht und einen nie alleine lässt. Menschen kommen und gehen, doch die Liebe zur Musik bleibt oft ein Leben lang. Da der Mensch von Natur aus ein Verlangen nach Wärme und Geborgenheit hat, findet er in der Musik einen Verbündeten, jemand oder etwas, der ihn versteht, wenn niemand einem zuhören mag. Der Ausdruck der eigenen Gefühlswelt, mit der man sich identifiziert, ist der springende Punkt.
Da die moderne Klassik sehr oft ruhig, fragil und herzergreifend ist, fasziniert diese auch in der Gegenwart. In Zeiten wo Stress und Hektik den Alltag bestimmt, wo Emotionen eher hinterlich sind, ist sie ein idealer Ruhepol zum Entspannen und innehalten. Diese Aspekte sind es auch, warum moderne Klassik im Bereich der Musikstile nie verschwinden wird. Man kann das auch umschreiben - moderne Klassik ist Musik mit Herz und Seele, von Komponisten, die eben Herz und Gefühl in den Noten legen auf eine sehr gewichtige Weise. Diese berührt und unter Umständen fühlt man sich vertraut mit dem Künstler.
Fast alle aktuellen Komponisten, Künstler und Formationen haben das erkannt. Wenn sie oft von ihrem eigenen Leben, Gefühle oder Sorgen erzählen, sprechen sie doch damit ein breites Publikum an, die ihre Sichtweise zu gut kennen und diese auch verstehen. Sich tragen zu lassen von den Klanglandschaften von Klavier und Co., sich fallen zu lassen mit der Aussicht, sanft aufgefangen zu werden von der Musik war und ist heute noch oberstes Ziel beim Komponieren von klassischen Stücken. Newcomer und fest etablierte Musiker folgen oft diese bewährten Muster.
Vergleicht man Popmusik (rot) und moderne Klassik (blau) im Netz 2016, offenbahrt sich ein eindeutiges Suchbild.
Hochkonjunktur auf internationaler Ebene
Auch ein wichtiger Stichpunkt ist der Aspekt mit Blick über den Tellerrand. Moderne Klassik ist in einigen Teilen der Welt nicht mehr wegzudenken. Vor allem in Gebieten wie Osteuropa, Asien, Südwest-Europa und Mittelamerika ist dieses Genre ein bestimmendes, musikalisches Kernelement. Kein Wunder, viele Länder in diesen Regionen pflegen seit Jahrhunderten die Traditionen und haben auch weltbekannte Musiker hervorgebracht, wie beispielsweise Russland.
Während wir im Radio die Charts hoch- und runtergeleiert bekommen, verhält es sich in anderen Kulturkreisen konträr. Ein Exempel: Der Unterricht an klassischen Instrumenten in China hat gerade Hochkonjunktur. Komponisten wie Beethoven sind dort quasi Stars, diese zu mögen und zu hören, sei in den asiatischen Großstädten modern und Ausdruck eines erstrebenswerten westlichen Lebensstils.
Und das hat Gründe. China, Russland und Osteuropa wird heute von einer Welle der Klassikbegeisterung erfasst. Unter dem Einfluss von visionären Köpfen, wie beispielsweise der Dirigent Long Yu, der die Musikliebe und das Repräsentationsbedürfnis im neuen China geschickt ausnutzt, hat sich eine Infrastruktur herausgebildet, die auch für den westlichen Markt zunehmend interessant wird. So ist es keine Seltenheit, das Künstler den asiatischen Raum fest in ihren Tourkalender markieren oder extra für diese Regionen angepasste Alben mit Bonusmaterial herausbringen. Die allgemeine Klassik und eben auch die moderne Klassik hält mit ihrer Ausdrucksweise mehr und mehr Einzug in Ländern, wo man es kaum erwartet hätte.
Ein fester Bezugspunkt in der Geschichte und Blick in die Zukunft
Man kann also festhalten: Sehr bodenständige Klassik in der modernen Zeit strahlt beträchtlichen Charme aus. Mit seiner langjährigen Erfahrung und der repräsenten Neugier wird man die moderne Klassik weiterhin schätzen und verehren wie zu Zeiten der Romantisierung vor zwei Jahrhunderten. Die Weiterentwicklung im Bereich schreitet ebenso kontinuierlich voran, ohne ihre Grundpfeiler aufzugeben. Diese markanten Gegebenheiten werden sich auch so schnell nicht ändern, aktuelle und kommende Werke von Komponisten sind der Beweis. Vielleicht wird die moderne Klassik irgendwann mal abgelöst in den heutigen Trends, verschwinden wird sie aber niemals, geschichtlich bleibt sie immer ein fester Bezugspunkt.
Einzig und allein die Interpretation des Genres wird variabel werden, aber im Grundsatz wird die moderne Klassik noch viele Momente aufbieten, um den Hörer in andere Dimensionen zu entführen. Und das ist auch Gut so. Klänge von Klavier oder Violine strahlen eine Art von Magie aus, welche sich schwer entziehen lässt. Auch in unserer heutigen Gesellschaft braucht es exakt diese Musik, um sich wieder selbst zufinden.
Zum Schluss noch ein Zitat von Yo Yo Ma, berühmter amerikanischer Cellist und 15. facher Grammypreisträger, der die ganze Sache unserer Einschätzung zur klassischen Musik unterstreicht.
Autor: André Schönauer
Klassische Musik im Netz:
Klassische Musik ist im Bezug auf seine "Artverwandheit" ein konstanter hoher Faktor zu "Folk" und "World Music" und erlebt in diesem Jahr eine neue Welle an Begeisterung.