Mit „Atermus“ brachte der Komponist Tom Blankenberg im Frühjahr 2019 sein Debütalbum heraus. Auch wenn er erst vor ein paar Jahren begonnen hat, Klaviermusik zu komponieren, ist das Musikverständnis des Düsseldorfers exorbitant. Im April erscheint sein zweites Werk mit dem Titel „et, bei dem sicher die Pandemie auch Spuren hinterlassen hat. In einem Interview mit dem Magazin schildert der Musiker die Entstehung vom neuen Album und gibt ein paar Einsichten in den klassischen Musikbereich.
Der Komponist Tom Blankenberg (Foto: Anna Simon)
Hallo Tom, schön das du Zeit hast. Wie geht es Dir gerade? Hallo André, danke erst einmal für die Einladung zum Interview. Mir geht es gerade ganz gut. Ich freue mich auf den Release meines zweiten Albums. Doch da ist auch noch eine Menge zu tun und mein Tag könnte gerade gerne 36 oder 48 Stunden haben, aber mir geht es gut dabei. Auch wenn man mich derzeit manchmal fluchen oder zetern hört.
Bevor Wir zur Musik kommen, 2020 ist sicher auch nicht ganz spurlos an Dir vorbeigegangen. Wie hast du die Zeit erlebt, in der wir uns ja noch immer befinden? Das Jahr startete für mich musikalisch turbulent und kräftezehrend. Ich hatte Anfangs 2020 eine schöne kleine Europatour zusammengestellt ... bis dann alles dramatisch platzte. Das war für einen kurzen Zeitraum sehr erschöpfend, aber danach fiel ich in einen heilsamen „Keinen Druck mehr“ Zustand, der es mir erlaubte, fokussiert an meinem Album zu arbeiten. Ich war also beschäftig und abgelenkt. Aber das Planen von weiteren Konzerte oder gar einer Tour, das habe ich jetzt erst einmal ganz weit nach hinten geschoben.
Ein Jahr ohne Konzerte oder Auftritte, ist die Musik bzw. Kunst in deinen Augen gefährdet? Musik wird weiter entstehen, Kunst wird weiter entstehen, aber es sind Existenzen gefährdet. Die von Musikern:innen, Schauspieler:innen, aber auch von den Gewerken drum herum wie Toningenieur:innen, Kameraleuten etc., da geht es vielen sehr schlecht. Die Kunst selber aber findet ihren Weg und muss jetzt auch eine Antwort und eine Reaktion sein... und ein Angebot für Trost.
Vor zwei Jahren gab es mit „Atermus“ dein Debütalbum. Wie kam es an in der klassischen Musikszene und welche Erfahrungen hast du mit dem Debüt sammeln können? Ich komme ja nicht aus der „klassischen Musikszene“, deshalb hatte ich da keine Antennen oder weniger Ansprechpartner. Aber in der Klassik-Rubrik von Apple Music/iTunes wurde es sehr warm willkommen geheißen und da habe ich gemerkt, daß meine Quereinsteigermusik wohl auch als „Klassik“ angesehen werden kann und da auch gemocht wird. Das hat mich sehr gefreut. Und auch in vereinzelten persönlichen Gesprächen mit klassisch ausgebildeten Musiker:innen habe ich schöne Komplimente erhalten. Aber auch die Reaktionen aus meinem Indie-Musik Umfeld waren sehr positiv. Das alles hat mich sowohl bekräftigt, so weiterzumachen, aber auch mich weiterhin nicht einem Genre zugehörig zu fühlen.
Du bist schon sehr lange im Musikgeschäft, doch warum hat es so lange gedauert, bis du ein Soloalbum herausgebracht hast? Was war der ausschlaggebende Aspekt dazu? Ich bin vor allem sehr lange im Tonstudiogeschäft. Zur Musikbranche hatte ich viele Jahre ein wenig Abstand, ich war eher in der Filmbranche zuhause. Doch irgendwann wollte ich wahrscheinlich einfach mehr oder wollte etwas machen, daß nur etwas mit mir zu tun hat. Mit ausschlaggebend dafür war eine Filmmusik, die ich für einen Studenten-Kurzfilm gemacht habe. Die hat so gut funktioniert... da hat es Klick gemacht.
Die plötzliche Ruhe im März 2020 ist auf jedem Fall in diesem Album
"et" erscheint am 16. April 2021 über Less Records.
Demnächst erscheint dein zweites Album mit dem Titel „et“. Wann hast du angefangen, daran zu komponieren? Ich habe schon während der Endfertigung von „atermus“ an Motiven gearbeitet und dann im Herbst 2019 konkret an Titeln, die ich dann im Februar 2020 aufgenommen habe. Aber das Ergebnis war es noch nicht ganz. Da saß ich dann also im März 2020 im Lock down und mir wurde klar, so soll es nicht klingen, ich muss noch finetunen bzw. neues Material schreiben. Daran habe ich dann in den drauffolgenden Monaten gearbeitet und alles im Juli und August aufgenommen.
Erzähle etwas zur Entstehung dazu – Welche Ereignisse oder welche Inspiration hat dich begleitet beim komponieren von „et“? Die plötzliche Ruhe im März und im April 2020 ist auf jedem Fall in diesem Album. Aber auch etwas Schwere und etwas Schmerz. Es gibt Titel, die direkt etwas mit der Corona-Pandemie zu tun haben, aber z.B. das Stück „meniskus“ ist nach der Knieverletzung meines Sohnes entstanden. Eigentlich kann alles inspirierend sein.
Beim Hören vom Album ist mir aufgefallen, dass es recht minimal gehalten ist mit sehr viel Expressionismus wie der Vorgänger. Wie hat sich dein Musikverständnis erweitert auf „et“ gegenüber dem Debüt? Während ich daran geschrieben habe, hatte ich keinen Abstand. Es ging dann immer nur um das Stück, an dem ich gerade saß. Ich hatte kein Gesamtgefühl für die Platte. Am Tag nachdem alles aufgenommen war, wurde mir klar, daß ich da eine ziemlich „ernst klingende“ Platte gemacht habe. Das ist für mich der Unterschied zu „atermus“, die Musik ist ernster geworden. Dafür kann die Weltlage oder auch Corona verantwortlich gewesen sein. Aber ich wollte nicht so ernst aus der Platte rausgehen. Deshalb habe ich an diesem Tag noch SLAS geschrieben, den kleinen versöhnlichen Abschiedsgruß an den Hörer.
Ein Song der mir besonders es angetan hat und der meiner Meinung doch in die Kategorie zeitlos rutscht ist „Kaschmir“. Welche Geschichte steckt dahinter? „kaschmir“... wie der Song entstanden ist, weiß ich gar nicht mehr so richtig. Ich fange immer vorne an. Es passiert nie, daß ich so etwas wie einen Chorus, einen Mittelteil schreibe und dann im Verlauf noch Stellen im Song davor, Intros und Strophen dazukommen (um mal in Songwriter-Begriffen zu sprechen). Ich habe also mit den Eingangsharmonieren gestartet... die sind sehr einfach und harmonisch überschaubar, die reichten mir zunächst. Aber das hat mich wohl dazu bewogen, dieses mal nach Komplexität auf rhythmischer Ebene zu forschen... und – voilá – da kam dann dieses Stück raus. Ich habe es mit einem Pullover auf den Seiten gespielt, damit es, wenn ich forte spiele, nicht zu laut wird. „kaschmir“ war dann der Arbeitstitel und ist bis zum Schluss geblieben.
Das Klavier ist sicher auch für Dich ein enger Begleiter im Leben. Was hat das Instrument, was andere etwas vermissen lassen deiner Meinung nach? Über den Begriff „enger Begleiter“ muss ich gerade ein wenig schmunzeln. Auf der einen Seite stimmt es vollkommen. Bei jedem Umzug in eine andere Wohnung gab es diesen Moment, in dem die Frage aufkam „Wo steht das Klavier?“ Ein sehr wichtiger Punkt. Als Fixpunkt in der Wohnung ist das Klavier also seit Jahrzehnten bei mir und ich brauche es. Aber im Hinblick auf das Touren wünschte ich mir, ich hätte dann einen solchen engen Begleiter. So wie ein Gitarrist immer sein eigenes Instrument mitnimmt. Ein Klavier zum Mitnehmen wäre toll. Ein Traum.
Was mich an dem Instrument fasziniert, sind die Möglichkeiten. Ich mag komplexe Harmonien, das löst bei mir am meisten aus... das schaffe ich nur auf mehrstimmigen Instrumenten wie dem Klavier, der Gitarre oder der Orgel. Bei der Orgel fehlt mir die Anschlagsdynamik und bei der Gitarre ist nach 6 Tönen gleichzeitig Schluss... Das sind z.B. Gründe für das Klavier. (Es gibt auf „et“ einen Anschlag von 15 Tönen, aber in Wohlgefallen versteckt. Man merkt es nicht. Das finde ich toll. Harmonien treffen mich.) Das neue Album beinhaltet 9 Stücke, an welchen hast du besonders lange feilen müssen, bis er in deinen Ohren perfekt klang? Ich glaube, das war „dear“. Es gab da dieses schöne und einfache Motiv, aber ich wollte es sowohl zunächst dekonstruieren und verkleinern als auch die Struktur mit Details anreichern. Die Oberfläche sparsam gestalten, aber den Untergrund reich ausbauen, könnte man sagen. Da habe ich länger dran gearbeitet.
Wird es 2021 neben dem Album noch andere Werke von Tom Blankenberg geben, vielleicht etwas mit cineastischem Hintergrund? Ich arbeite oft (oder immer?) an mehreren Sachen gleichzeitig. So auch jetzt. Ich schneide derzeit an einer Reihe von Kurzfilmen, die dann als Ganzes erscheinen sollen... ab das allerdings noch 2021 fertig werde wird, weiß ich nicht. Filme brauchen viel Zeit, Musik geht da eigentlich schneller.
Leute, da draußen, hört bitte ganze Alben
Ein Virtuose am Klavier: Tom Blankenberg
Was macht ein Tom Blankenberg, wenn er nicht am Klavier sitzt oder im Studio anzutreffen ist? Ich liebe Fahrradfahren. Und da reicht mir auch mein Holland-Damenrad, mit dem ich dann an den Rhein runterfahre. Allerdings im Moment leider seltener wegen der vielen Release Vorbereitungen, dafür müssen z.B. noch Videos gemacht werden. Die brauchen auch immer viel Zeit. Und Kino war immer mein Ding, aber das gibt es ja leider gerade nicht.
Was genau kann die Presse, Redakteure oder Journalisten tun, um klassische bzw. deine Musik populärer zu machen? Ich selber fühle mich wie ein Grenzgänger und ich mag diese Durchlässigkeit, deshalb schmeckt mir eine übergeordnete Trennung zwischen „Klassik“ und „Pop“ nicht so ganz. Aber die bröckelt ja auch an vielen Stellen. Das „Modern Classical“ Genre bearbeitet das ja gerade ganz gut und schon ziehen sowohl Synthesizer als auch Jugendliche in die Konzerthäuser ein. Und da fallen dann im besten Fall auch Dünkel. Und so sollte es weitergehen, Grenzen aufheben bzw. sie als nicht existent erklären. Es gibt nur Musik.
Verfolgst du die Veröffentlichung deiner Kollegen? Welches Album hat dich zuletzt sehr beeindruckt? Ja, klar. Ich habe ja viele von ihnen in den letzten Jahren kennengelernt, mit ihnen gespielt und gesprochen, wundervolle Menschen sind das und dann bleibe ich natürlich auch dran. Gerade interessiert mich sehr „nur Piano“ Musik. Und da kam so vieles gutes... Carlos Cipas „Correlation“ ist toll, die Musik von Malakoff Kowalski ist mir nah und lieb und auch die letzte EP von Garreth Broke hat mich sehr berührt.
Eine Frage, die ich immer im Musikbereich der klassischen Musik stelle ist - wie wird sich deiner Meinung nach diese entwickeln? Mehr moderne Ansätze oder zurück zu den Wurzeln? Ich bin für beides. Die, die Wurzeln wollen, sollen ihre Wurzeln bekommen. Und die, die moderne Ansätze bevorzugen, die finden auch ihre Musik. Musik kann einfach in all ihren Facetten daherkommen.
Danke Tom, die letzten Worte gehören Dir. „Die letzten Worte“... hui, das nötigt mich zu einer großen Botschaft? Also, okay.
Leute, da draußen, hört bitte ganze Alben. Komponist:innen, Musik:innen, Producer:innen verbringen viel Zeit und Liebe damit, diesen größeren musikalischen Kontext namens „Album“ zu schaffen... Stücke nehmen Bezug zueinander, funktionieren ggf. nur durch das Hören und Erleben des Gesamtzusammenhangs. Beraubt Euch dessen nicht. Danke.
Und ein allerletztes Wort an Dich gerichtet, André. Danke Dir für das schöne Interview, Deine Zeit und Energie. Und auch für Deine Begeisterung und Liebe für Musik.