Er ist eine sympathische und charismatische Persönlichkeit im Genre des alternativen Rocks. Im Winter veröffentlicht der Hamburger John Allen sein neues Album “Friends & Other Strangers“, welches die Erfolgsgeschichte von „Ghost“ aus dem Jahr 2016 fortsetzen wird. John Allen reflektiert in seinen Stücken neben persönlichen Ereignissen auch zeitkritische Themen, wie auf „ Raise Your Voice”. Wir haben John zum neuen Werk ein paar Fragen gestellt.
Friends & Other Strangers ist das neue Album von John Allen.
Hallo John, schön das du Zeit hast. Wie geht es Dir gerade? André, hallo! Mir geht es gerade ganz gut, danke!
Friends & Other Strangers ist dein neues Album. Ist man im Vorfeld trotzdem immer ein wenig aufgeregt oder zählt das schon zur Routine bei Dir? Die Nervosität gehört absolut dazu. Man arbeitet lange an einem Album, man schreibt, man verbessert, man schreibt neu, man nimmt auf, mischt und mastert und das in der Regel ohne zu wissen, ob das Ergebnis irgendjemandem gefällt. Drücken wir es mal so aus: Ich zähle die Tage bis zum Release.
Erzähl ein wenig über die Entstehungsgeschichte. Was sind deine Quellen an Inspiration dafür gewesen? Wie war die Arbeit im Studio? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Inspiration ziehe ich eigentlich aus fast Allem. Aus Büchern die ich lese, anderer Musik die ich höre, aus Geschichten die ich irgendwo aufschnappe. Ich trage meistens ein kleines Notizbuch mit mir herum in dem ich mir Gedanken, Worte oder Sätze notiere und irgendwann versuche ich alles zusammenzutragen um zu schauen, ob etwas Brauchbares dabei ist. Die Arbeit im Studio ist in gleichem Maße spannend wie kräftezehrend. Es sind lange Tage, wir probieren viel herum. Der einzige Vergleich der mir gerade einfällt ist, dass es ein wenig so ist, wie es mir vorstelle, einem Baby beim Wachsen zu zuschauen.
Insgesamt 9 Songs finden ihren Platz auf dem Album. Allesamt sprechen aus dem Herzen und der Seele von John Allen. Mit welchem Lied verbindest du persönlich am meisten und warum? Oh, das ist ganz schwer zu sagen, in jedem Song steckt eine Geschichte die mir nahe geht, auf die ein oder andere Art und Weise. “Hemingway” ist ein gutes Beispiel. Hemingway war, kurz vor seinem Suizid ein sich selbst hassender, das Leben verabscheuender Misanthrop, aber er hatte diese ganz spezielle Freundschaft zu James Joyce. Der wiederum hat ihn immer wieder geerdet, ihn versucht davon zu überzeugen, dass das Leben doch lebenswert ist, dass er am Ende ganz einfach Ernest Hemingway ist, ein Mensch den Millionen verehren. Manchmal hilft es, einen Freund um sich zu haben, der einem eine neue Sichtweise bietet, insbesondere dann, wenn man selbst nicht in der Lage ist, diese zu entwickeln.
Es war schon eine bewusste Entscheidung, andere Töne anzuschlagen
Live ist John Allen ein besonderes Erlebnis, egal ob vor 30 oder 100 Menschen.
Das Album wurde durch eine Kickstarter-Kampagne ins Leben gerufen. Nicht mal in eine Woche war das Ziel erreicht. Welche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man so etwas mitbekommt? Wenn Fans und Musikliebhaber bedenkenlos hinter deiner Musik stehen? Es ist ein großes Kompliment, aber auch ganz schön Druck. Ich habe diese Zahlen angesehen und diese Summe auf meinem Konto und konnte die ganze Zeit nur denken: “Oh je, jetzt musst du aber auch liefern, die Vorschusslorbeeren sind gewaltig.” Am Ende überwiegt aber das Glück, dass es Menschen gibt, denen meine Musik so viel bedeutet, dass sie bereit sind, in ein noch unfertiges Produkt zu investieren.
Der Titel „Late Night Summer Serenade“ hat mich sofort erwischt mit seiner Klangästhetik. Ein wirklich herausragender Song. Schaut man da sehr tief in deine Seele, wieder einmal? “Late Night Summer Serenade” ist der Versuch eine Liebesgeschichte aus zwei Perspektiven zu erzählen, aus Sicht des Mannes und der Frau. Es gibt diesen Satz vom richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt. Ich glaube, es gibt eben auch den richtigen Menschen zum falschen Zeitpunkt. LNSS erzählt die Geschichte einer solchen Begegnung. Und ja, ganz unbekannt ist mir die Szenerie nicht.
Friends & Other Strangers - wer exakt sind denn die „other Strangers“? Gute Frage. Der Titel geht eigentlich auf einen klassischen Verhörer zurück. Der Radiomoderator sagte “some people you meet are friends, others are strangers.” Ich habe “friends and other strangers” verstanden und mochte den Satz so sehr, dass ich ihn aufgeschrieben habe. Der Song selbst dreht sich um einen Typen der die Reeperbahn heruntergeht und sich die Gestalten besieht, die ihm begegnen - einige von ihnen scheint er zu kennen, andere sind im fremd. An der Stelle könnte man jetzt eine philosophische Grundsatzdebatte anfangen ob man wirklich jemals Menschen so richtig kennt, oder ob das überhaupt nicht möglich ist… aber, ich glaube das ist gerade nicht der richtige Ort dafür ;-)
„Ich bin der Typ mit dem Bart und der Gitarre, der die traurigen Lieder singt“ - so melancholisch zu den Vorgängern ist das neue Album nicht ausgefallen. Eher überrascht der rockige und beschwingte Aspekt. Beabsichtigt oder ist es Zeit, die Welt mal wachzurütteln? Es war schon eine bewusste Entscheidung, etwas andere Töne als bei Ghosts anzuschlagen. Am Ende bin ich immer davon abhängig, was mir einfällt. Ich setze mich selten hin und sage: “Jetzt schreibe ich mal einen Rocksong.” Generell bin ich sehr affin zu melancholischen Songs, da gibt es keine zwei Meinungen. Wenn ich Alben von anderen Künstlern höre, sind die kleinen, leisen, traurigen Songs in der Regel die, die hängen bleiben - Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel!
Ich treffe Menschen, die mit Enthusiasmus und Liebe Konzerte organisieren
Der Hamburger John Allen ist eine sehr sympathische Persönlichkeit.
Apropos Wachrütteln. In einigen Blog-texten gehst du mit zeitkritischen Themen hart ins Gericht. Ist es Dir ein persönliches Anliegen, den Frust über Missstände von der Seele zu schreiben? Vielleicht den ein oder anderen Menschen eben mal „wachzurütteln“? Ich glaube nicht, dass ich etwas ändern kann mit meiner Musik. Bob Dylan hat einmal gesagt: “Songs are just songs, they’re not going to change the world”. Andererseits glaube ich, dass eine schweigende Mehrheit zu Nichts nütze ist. Nur wer seine Meinung ausspricht hat eine Chance, gehört zu werden. Ich habe das Glück, mit der Musik eine kleine Öffentlichkeit zu haben und möchte diese nutzen um meine Meinung zu verbreiten. Ich habe dabei keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit, ich glaube nicht, dass ich die allein selig-machende Weisheit gefunden habe, aber ich glaube, dass es wichtig ist, sich offen mit der aktuellen Situation auseinander zu setzen. Ohnmacht hilft hier nicht. Und wenn jemand meinen Blog liest und Argumente findet warum ich mich irre, dann freut mich das ebenso, wie wenn man mir zustimmt. Solange wir debattieren, uns austauschen, voneinander lernen und uns anhören, können wir die Kurve noch bekommen.
“Raise Your Voice” ist ein Appell. Macht euren Mund auf. Schreit, tobt, zürnt. Mischt euch ein, macht Politik. Geht auf die Straße. Lest, lernt. Informiert euch. So dein O-Ton. Macht Dir die Gesellschaft Angst, wie sie sich entwickelt? Als Geschichtsstudent zieht man doch sicher Parallelen? Angst ist vielleicht das falsche Wort. Ich liege nachts nicht wach, wenn du das meinst. Besorgt bin ich aber in jedem Fall. Ich habe neulich einen Zeitungsartikel im Guardian gelesen über einen Mann der von der Stimmung in England im Sommer 1939 berichtete. Er erzählte auf eine sehr beeindruckende und bedrückende Art und Weise, wie man spüren konnte, dass die Welt dabei ist, aus den Fugen zu gerate und wie keiner wirklich etwas tat, weil alle davon ausgingen, es würde sich schon regeln. Der Artikel endete mit der Äußerung, dass er in diesem Sommer erstmals wieder das gleiche Gefühl hätte, verbunden mit dem Appell, nicht einfach die Dinge zu akzeptieren und geschehen zu lassen.
Ich glaube schon, dass sich Geschichte wiederholt und ich glaube, dass wir die erste Generation ist, die nicht mehr direkt für ihre Freiheit kämpfen musste, sondern die sie quasi auf dem Tablet serviert bekam. Unsere Großeltern haben den Krieg erlebt, unsere Eltern immerhin noch die Proteste um Vietnam, die 68er Bewegung, den Mauerbau, die Unterdrückung in der ehemaligen DDR. Wir sind aufgewachsen in der Selbstverständlichkeit der Freiheit. Man könnte argumentieren, dass damit eine gewisse Lethargie einhergeht. Wenn ich ehrlich sein soll, ich spüre sie auch bei mir. Wir sind als Gesellschaft in den vergangenen Jahren unpolitischer geworden. Eine Jugendbewegung fehlt.
Ich glaube eine Neudefinition politischer Arbeit, wie zum Beispiel Bernie Sanders das in den USA vorgelebt hat, würde uns in Deutschland sehr gut tun. Es fällt mir im Moment schwer mir vorzustellen, dass Politik in unserem Land in einem solchen Maße die Massen begeistern könnte, wie es eigentlich notwendig wäre. Die Konsequenz ist, dass wir als Gesellschaft immer weiter auseinander driften und je weiter die Spanne zwischen den Schichten aufgeht, desto schwieriger wird es, nachhaltig zu arbeiten und ein Abrutschen in eine politisches Extrem zu verhindern.
Meine Philosophie ist, dass Musik die Menschen verbinden sollte, dass Musiker, Bands oder Künstler dazu beitragen, unsere Welt ein besseren Ort zu machen. Mit Erfolg, denn sicher hast du viele Fans weltweit, die sich über deine Musik austauschen und diskutieren und über Grenzen hinweg vielleicht Freunde werden. Warum müssen Musiker oft das gerade biegen, was die Politik versäumt oder ignoriert? Viele Fans weltweit? Puh, ich weiß nicht, ich glaube im großen Rahmen ist das alles sehr überschaubar, aber das ist auch vollkommen in Ordnung so. Ich glaube nicht, dass ich in meiner Rolle als Künstler irgendetwas ausbaden muss. Wie könnte ich auch? Es ist nicht meine Aufgabe Politik zu machen, sondern mich auf eine Bühne zu stellen dafür zu sorgen, dass mein Publikum einen guten Abend hat; das kann dann lustig sein, traurig, melancholisch, nachdenklich oder eben auch politisch. Ich versuche zum Nachdenken anzuregen und hoffe, dass Menschen meine Shows verlassen, mit dem guten Gefühl, verstanden worden zu sein. Ich glaube allerdings schon, dass Künstler generell eine gewisse Autorität und einen, wenn auch limitierten, Einfluss auf das Denken der Menschen haben. So etwas für einen guten Zweck zu nutzen ist durchaus legitim und auch wichtig; mit Ausbaden hat das aber Nichts zu tun. Vielmehr würde ich behaupten, dass wir als Gesellschaft die Fehler ausbaden, die Politiker und Gesellschaft begehen.
Du bist viel und oft auf Tour unterwegs, wo man sicher viele Menschen trifft. Sicher haben da auch einen John Allen beeindruckt. Wer und warum? Mir fällt es schwer, dir hier konkrete Beispiele zu nennen, aber klar, mich beeindrucken viele Menschen. Das fängt damit an, dass mir wildfremde anbieten, bei ihnen zu übernachten, einfach, weil sie mir etwas Gutes tun wollen. Wie oft lässt du Fremde in deine Wohnung? Ich eher selten. Ich treffe Menschen, die mit Enthusiasmus und Liebe Konzerte organisieren, die viel Energie und Geld investieren, um die Kulturszene der jeweiligen Stadt weiterzubringen. Gibt es etwas beeindruckenderes als Idealismus? Ich treffe Menschen, die mit mir diskutieren, die sich kritisch mit meinen Songs auseinandersetzen und junge Menschen, die anfangen politisch zu arbeiten. Ich treffe andere Künstler die, wohlwissend, dass sie mit ihrer Kunst niemals reich werden, am Existenzminimum entlang schrammen, einfach weil sie Musik lieben und sich nicht vorstellen können, etwas anderes zu tun.
Findest Du, dass es schwer ist, mit zunehmenden Erfolg weiter bodenständig zu bleiben? Also trotzdem noch sehr verbunden zu bleiben mit Freunden, Fans und neuen Bekanntschaften? Ich glaube dazu müsste man erstmal definieren was “Erfolg” eigentlich bedeutet. Ich halte mich nicht für sonderlich erfolgreich. Bob Dylan ist erfolgreich, Bruce Springsteen, meinetwegen auch die Counting Crows oder Frank Turner. Ich ziehe durch die Lande und singe meine Lieder, manchmal für 30 Leute, manchmal für 100 Leute, aber vom Abheben bin ich glaube ich noch einige Kilometer weit entfernt. Bekanntschaften macht man auf dem Weg hunderte, nur aus ganz wenigen werden echte Freunde, was einfach daran liegt, dass man kaum bis gar keine Zeit hat, sich wirklich intensiver kennenzulernen. Meine Freunde zu Hause sehe ich seltener als mir lieb ist, aber das ist eben auch ein Teil des Jobs. Ich habe das Glück, eine Freundin zu haben, die dieses Leben toleriert und einen Freundeskreis, der weiß, wie er damit umzugehen hat.
Was sind deine weiteren Ziele? Hast du schon Pläne für die Zukunft? Jetzt machen wir, also mein Label und ich, erst mal Promo für das Album, dann kommt der Release und die große Release Show mit meiner Band am 16.November im Knust in Hamburg. Konkrete Pläne gibt es für danach wenige. Es wird Shows geben nächstes Jahr, logischerweise, und parallel schreibe ich seit einem halben Jahr an einem Buch über die letzten vier Jahre auf Tour. Ich wehre mich noch etwas gegen die Behauptung es seien Memoiren, es wird eher eine Anekdotensammlung der skurrilsten, interessantesten und bemerkenswertesten Begegnungen unterwegs. Und Songs schreibe ich ja ohnehin immer.
Wie gewohnt, die letzten Worte sind Dein: Dann mache ich es ganz klassisch: Vielen Dank für das nette Interview!